Wien Museum Wejmelka

WEY, WEJ, WEI oder WEIJ

Dieser Fund, nicht weit weg von der "FERWÄRME", war genau nach meinem Geschmack - alt, verschnörkelt, ågsandlt, über die Jahrzehnte mit reichlich Farbe versehen, die zwar nicht gänzlich gegen den Rost ankam, eine vollständige Entzifferung dafür unmöglich machte. Zu Beginn meiner Recherchen konnte ich nicht ahnen, in welchem Wirrwar aus Buchstaben, Namen, Adressen, Telefonnummern, Formen und Zeiten ich mich bald wiederfinden sollte. Und letztlich war dann doch alles ein bisschen anders.


WEYMELKA ist eindeutig, ANT. wird wohl Anton heißen. Obwohl, erst kürzlich hatte ich hinter einem einsamen und einfachen "M" einen Methodios entdeckt. Warum sollte also jemand sein Kind nicht Antäus getauft haben? Das "Y", früher auch "fremdes" oder gar "falsches I" genannt, würde schon in diese Richtung deuten, doch bleiben wir bodenständig.


Google wollte sichergehen, dass ich mit meiner Suche nach Ant. Weymelka nicht womöglich Ant. Wejmelka gemeint haben könnte. Einen Versuch war's wert, doch wurden keine "übereinstimmenden Dokumente gefunden." Anton Weymelka gibt es aktuell nur auf meiner Homepage www.verschlusssachen.com und Anton Wejmelka ruht in Frieden mit seiner Frau Aloisia in Würzburg.
Die Suche nach Weymelka/Wejmelka solo führte mich von Wien in die weite Welt und retour, ohne etwas zur Klärung meines Fundes beigetragen zu haben.


Mit Anton Weymelka erzielt ANNO einen einzigen Treffer. In einer Ausgabe der Wiener Zeitung aus dem Jahr 1868 ist er mit der Gabe von 1 fl. (1 Gulden, gut 15 €) "zum Ausbaue der Votivkirche" in der Gemeinde Atzgersdorf aufgelistet.1 Der größte Teil der damals eigenständigen Gemeinde gehört heute zum 23. Bezirk, ein kleiner Teil wurde dem 12. Bezirk zugeschlagen, die Gegend könnte also stimmen. Aus einer erst spät gefundenen Zeitungsanzeige aus dem Jahr 1937 ist allerdings zu erfahren, dass "der Obmann der Fachvereinigung der Rollbalkenerzeuger [...] Anton Wejmelka im 67. Lebensjahre gestorben ist." 2

Sein Geburtsjahr dürfte also 1870/71 gewesen sein, als edler Spender scheidet er damit aus, vielleicht war's sein Vater.


Enthebung vom Neujahrswünschen


Weymelka solo schaufelte 180 Ergebnisse zutage, darunter tummeln sich Militärkapellmeister, Holzversilberer, Offiziere, Finanzkonzipisten, eine Zeugin in einem spektakulären Mordfall, doch weit und breit kein Schlosser.

Dafür erscheint am 30. Dezember 1841 ein k. k. Holzrevisor Aloys Weymelka, der wie viele andere "in Folge der Lossagung von Neujahrswünschen pro Anno 1842 milde Beyträge an das Armen-Institut erlegt" hat.3

Diesem Wünschen entzieht er sich auch die nächsten beiden Jahre, diesmal "sammt Gattinn", vermittels der milden Gaben, 1842 allerdings als Alois mit "I".

1851 ist aus dem Revisor ein k. k. Controlor geworden, bleibt seither aber ohne Gattin, 1852 spendet A. Weymelka 30 Kreuzer (etwa 5 €). 1853 macht er Pause und 1854 bleibt nur noch ein einsamer Weymelka übrig.

Alles schön und gut, aber ich habe keine Ahnung, was es damit auf sich hatte.


Im Prinzip ging es darum, dass sich vor allem die gehobenen Stände der lästigen und zeitraubenden Verpflichtung zum persönlichen Glückwünschen zu Namenstagen sowie zu Weihnachten und Neujahr mit dem Versenden von Glückwunschkarten entziehen wollten. Die postalische Erledigung dürfte dabei umso teuerer geworden sein, je niedriger der soziale Stand war, d. h. je mehr zu Beglückwünschende man über sich hatte. Bei der Obrigkeit sammelten sich in Folge Berge an Altpapier an, die niemandem nutzten. Im frühen 19. Jahrhundert scheint es einen Gesinnungswandel gegeben zu haben. Gegen Ende des Jahres 1829 verkündete die K. K. priv. Prager Zeitung den Prager Bürgern, "daß auch für diesmal die Einleitung getroffen worden ist, daß mit Genehmigung der hohen Behörden, statt denen lästigen Besuchen, Entschuldigungskarten gelöst werden können." 4
Die Spender wurden, manchmal auch mit Angabe der Höhe der Spende, in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht. Die Einnahmen daraus kamen örtlichen Armenvereinen zugute. Die Enthebungskarte konnte dann an Haus- oder Wohnungstür befestigt werden. Sie zeigte der unmittelbaren Umgebung an, dass schon gespendet wurde und allfälligen Haus- und Gassenbettlern, dass hier nichts mehr zu holen ist. Weitere Informationen zum Thema gibt's auf Wikipedia und im letzten, sehr ausführlichen Fund auf ANNO im Allgemeinen Tiroler Anzeiger.


Von der Mühle zur Gasse

Dieser bunte Rollbalken in 1050 Wien erscheint kurzfristig als des Rätsels Lösung, doch das Internet schweigt zu den bisher gefundenen Gassennamen, ob mit oder ohne Nummer. Erst mit der Variante "Rote Mühlgasse" bringt mich "Wien Geschichte Wiki" auf den richtigen Pfad. Nach einer Roten Mühle, die Mitte des 15. Jahrhunderts am Wienfluss stand, heißt die Gasse seit 1894 Rotenmühlgasse, eigentlich eh ganz einfach, sie wurde allerdings auf keinem meiner Funde verwendet. Im Gegenzug ist der Familienname mit "Y" nur outdoor anzutreffen, in offiziellen Verlautbarungen immer mit "J"

Die Hausnummer 63 erscheint nur in einigen wenigen Inseraten und Listen. 1912 wird für dort ein Schlosserlehrjunge gesucht 5. Alternierend platziert ihn Lehmanns Allgemeiner Wohnungsanzeiger 1913 einmal als "Sachverständiger für Rollbalken- und Plachenerzeuger" auf Nr. 49 und einmal als "Sachverständiger für Portale u. Rollbalken" auf Nr. 63, diesmal allerdings in Verbindung mit einer sehr alt wirkenden Telefonnummer - M 352.


Telefone hielten ab 1881 Einzug in Österreich, 1892 gab es fast 1.000 Teilnehmer, was sich mit der dreistelligen Nummer noch ausgegangen wäre. Aber wieso taucht diese alte Nummer erst 1913 auf?

Die Telefonnummer R 32 2 34 auf dem rechten Bild mit der Kombination aus Buchstabe und fünf Ziffern war überhaupt erst von 1927 bis 1957 in Gebrauch. Was macht eine relativ neuzeitliche Nummer auf einer frühzeitlichen Plakette?


Ein letztes Inserat mit Anton Wejmelka als Protagonisten stammt aus dem Jahr 1925 und bringt die Telefonnummer 81219 ins Spiel, was zeitlich gut passen würde.


Lehmann 1940 überrascht nicht nur mit der Möglichkeit, dass sich unter dem Suchbegriff Wejmelka auch ein Weimelka befinden könnte, sondern mit der Entdeckung, dass auf Hausnummer 63 neben Antons Witwe Albine Wejmelka auch der Rollbalkenerzeuger Alois ansässig. Gibt es doch eine Verbindung zu obigen Spendern? Aber das waren doch WeYmelkas?


Zur Entspannung ein paar hübsche Bilder aus Niederösterreich.



In der kleinen Ortschaft Wampersdorf im Industrieviertel trifft an diesem schon etwas in die Jahre gekommenen Ensemble ein verschnörkelter Weymelka auf einen reduziert und relativ modern wirkenden Wejmelka mit der Telefonnummer R 31 2 19. Die erste Variante ist abgehandelt, die zweite bringt keine neuen Erkenntnisse.


Seepocken und andere Ungereimtheiten


Das Schicksal meinte es gut mit mir, dass ich von den folgenden Bildern zuerst das linke Schild entdeckt habe und nicht das von Seepocken übersäte rechte. Das erste zeigt eine aufgeräumte, schnörkellose, für meinen Geschmack modernere Variante mit einer gänzlich anderen Adresse. Beim zweiten wäre zwar der Name leidlich zu erraten gewesen, die Solonummer 32 hätte mich dann doch etwas verwirrt. Der Fundort bei den Breitenseer Lichtspielen erlaubt immerhin eine zeitliche Zurodnung, denn das Kino steht seit 1909 an diesem Platz. Demnach wäre dieses Design deutlich älter als die Schnörkel.

Ein anderer Betrieb hatte um das Jahr 1908 übrigens auch Gefallen daran gefunden.

Zu Wejmelka solo wirft ANNO zwar über 400 Funde aus, bei Erweiterung um Anton schrumpft die Auswahl auf neun, von denen letztlich nur fünf mit dem Schlossermeister in Wien XII zu tun haben.

So wird im Frühjahr 1900 im Neuen Wiener Tagblatt ein "Eiserner Backtrog" inseriert, abzuholen in der Schlosserei in XII. Hauptstraße 32. 6

Nach der Eingemeindung 1892 erfolgte 1905 die Präzisierung der Hauptstraße zur Meidlinger Hauptstraße. Unter dieser Adresse (mit einmaliger Nennung eines Sitzes in der Tivoligasse 1) ist die "Fabrik für Rollbalken u. Sonnenplachen" auch in Lehmanns Allgemeinem Wohnungsanzeiger desselben Jahres aufgeführt. Von dieser Adresse aus wird 1906 um eine Baubewilligung für ein "Dreistöckiges Wohnhaus und Werkstättengebäude, Rotenmühlgasse 47" angesucht. 7  Die Hausnummer 47 taucht nur in den Akten auf, es könnte sich auch um einen Fehler der Redaktion gehandelt haben. Die Übersiedlung auf Hausnummer 63 dürfte 1911/12 vonstatten gegangen sein.


Resümee

Meine ursprüngliche und mir wunderschön passende Annahme, dass die Entwicklung dieses Betriebes von fast offensichtlich alt zu nur vermeintlich jung ging, muss ich hiermit ad acta legen. Warum im Namen von "J" nach "Y" und zurück gewechselt wurde, bleibt vorerst noch ein Rätsel. Vielleicht kann unter den LeserInnen jemand etwas zur Lösung beitragen. Auch dass im Design der Plaketten so verwirrende Änderungen vorgenommen wurden, muss ich vorerst so stehen lassen.

In den Annalen hat die Firma trotz gewisser Reputation als Innungsmeister und Sachverständiger keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Im Stadtbild sind die Hinterlassenschaften durchaus noch präsent, wie die folgenden Impressionen zeigen.


Besonders freut mich, dass ich die goldfarbene Abdeckung zumindest fotografisch erhalten konnte. Auffallend ist die Vielfalt der Telefonnummern, wobei vor allem die späten (nach 1957) sechsstelligen eine gewisse Affinität zu Spinnweben zu haben scheinen, wenn sie nicht vorher gerettet werden. Beim letzten Bild ist noch ungeklärt, ob die grüne, anonyme Muschel oder Wolke aus dem Hause Wejmelka stammt oder einfach zufällig am selben Ort von einem anderen Schlosser montiert wurde.

Ach ja, nur zur Vollständigkeit in Bezug auf die Überschrift. Bei den allerletzten Recherchen rund um diesen Betrieb ist tatsächlich noch eine Frau WeIJmelka aufgetaucht. Sie hat im Sommer 1927 bei einem Preisausschreiben den 2. Preis gewonnen - einen Schirm. 8

Quellen:

Aus ANNO/Österreichische Nationalbibliothek:

1 Wiener Zeitung, 4. Juli 1868, Seite 2
2 Neues Wiener Tagblatt, 16. Oktober 1937, Seite 9

3 Wiener Zeitung, 30.Dezember 1841, Seite 12
4 K. K. priv. Prager Zeitung, 22. Dezember 1829, Seite 13
5 Neues Wiener Tagblatt, 21. April 1912, Seite 92
6 Neues Wiener Tagblatt, 25. März 1900, Seite 30
7 Architekten- und Baumeister-Zeitung, 11. März 1906, Seite 8
8 Die Stunde, 24. Juli 1927, Seite 9


Die Enthebungskarte aus www.digital.wienbibliothek.at


Rund ums Telefon aus "125 Jahre Telefon in Österreich" von Ing. Gerhard Fürnweger