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Johann Anderle

Im Gegensatz zu seinem Kontrahenten, hat man es bei der Firma Anderle schnell mit echten Personen zu tun. Gleich zu Jahresbeginn 1825 wird in der Wiener Zeitung von einer "Licitation", also einer öffentlichen Versteigerung, berichtet. Eine Verbindung vom Eisenhändler Johann Anderle an der Eisenstraße zum Schlosser in Wien klingt durchaus naheliegend, einen Beweis für verwandtschaftliche Verhältnisse gibt es derzeit nicht. Die Bekanntmachung ist ein eindrucksvolles Stück Behörden-Prosa, besteht aus drei Sätzen und ist zu schön, um in den Tiefen des WWW ihr Dasein zu fristen.

Dem Vater des angeführten Mathias Constantin v. Wickenburg verdanken wir die Wickenburggasse in Wien Josefstadt. Das Kürzel "V. O. W. W." vor "Ni. Oest." steht für Viertel ober dem Wienerwald, also dem Mostviertel, mit "Gersten" war wohl "Gresten" gemeint. Die 1517 fl. (Gulden) und 48 kr. (Kreuzer) W. W. (Wiener Währung) müssen umgerechnet werden. Ab 1820 tauschte die Nationalbank die behelfsmäßige Wiener Währung im Verhältnis 2,5 : 1 in Gulden Conventionsmünze. https://de.wikipedia.org/wiki/W%C3%A4hrungsreformen_in_%C3%96sterreich#W%C3%A4hrungsumstellung_1820_ff.

Zu diesen knapp 607 fl. C. M. (Conventions-Münze) kommen die schon in dieser Währung gerechneten 93 fl., womit sich die Gesamtschuld von "Mich. Kraushofer und Anna Maria uxori [der Gattin]" laut Währungsrechner heute auf etwas über 18.400 Euro beliefe.  Zum Haus, "worauf derzeit die Personal-Schank-Gerechtigkeit ausgeübt wird",  gehörten neben einem "radicirten Fleischhauergewerbe" auch "5/8 Joch Gärten". Ein Joch entsprach 1.600 Quadratklaftern und ein Klafter der "Spanne zwischen den ausgestreckten Armen eines erwachsenen Mannes". Hält man sich Da Vincis "Vitruvianischen Menschen" vor Augen, dann wären die Österreicher damals mit knapp 1,90 m deutlich größer gewesen als etwa die Bayern mit nur 1,75 m.

Zum Schluss ist noch von einem "Reugelde" die Rede, was hier eher als Anzahlung bei Vertragsabschluss zu verstehen ist, ursprünglich aber anscheinend eine Pönale war bei nicht eingehaltenem Vertrag.

1825_01_05_Anderle_Gresten_Wiener Zeitung_Seite 5

Das Spiel wiederholt sich ein gutes Jahr später. "Es sey auf Anlangen des Johann Anderle, Hausbesitzers in Gresten, in die öffentliche Feilbiethung des dem Gottfried und der Francisca Mitterstegger angehörigen Bauernhauses [...] im Wege der Execution gewilliget worden." 1826_04_22_Anderle_Gresten_Wiener Zeitung_Seite 6

Ob die Anderles bei diesen Vorgängen erfolgreich waren, wurde nicht weiter recherchiert.

Die Firma wurde lt. Eigenangabe 1840 gegründet. Die ersten Funde, die den Namen Anderle definitiv mit dem Schlosserhandwerk in Verbindung bringen, sind alle negativer Natur. 1846 gibt es einen Franz Anderle, "dem seine Gattinn Marie, alt 26 J., in der Brigittenau Nr. 205, an Entkräftung" gestorben ist. 1846_09_10_Anderle_Verstorben zu Wien_Wiener ZEitung_Seite 5

Die Anderles waren, anders als Rosenthals Erben, relativ standorttreu. Sie bewegten sich zeit ihres Bestehens in einem überschaubaren Bereich am Wienfluss im heutigen fünften und sechsten Bezirk. Franz könnte zwar ein Familienmitglied gewesen sein, die Brigittenau würde aber eher drauf hinweisen, dass er nicht zum harten Kern der Familie gehört hat. Interessant ist die Erwähnung zumindest in zweierlei Hinsicht. Jeder medial genannte Mensch musste damals anscheinend etwas sein, einen "Titel" haben, vom Hochwohlgeborenen Herrn über die "Militär-Baurechnungsführers-Gattin", das "k. k. Feuer-Zimmermanns Eheweib" bis zur Taglöhnerwitwe. Letztlich waren es aber oft die Herren, denen etwas widerfahren ist, wie dem Franz der Tod seiner Gattinn oder auf derselben Seite einem Hausmeister s. K. Heinrich an Gehirnhöhlenwassersucht, die Frauen schienen von Schicksalsschlägen weniger betroffen gewesen zu sein. Die Männer sind, verehelicht oder ledig, oft einfach so gestorben, ohne weitere Nennung einer Zugehörigkeit.


Die ersten 15 Jahre nach Firmengründung ist es still um sie. 1855 startet der erste Wiener Johann Anderle gleich mit einer Konkurseröffnung ins Erwerbsleben. Und zwar "über das gesammte bewegliche und über das in jenen Kronländern, in welchen die dermalen bestehende Zivil-Jurisdiktionsnorm Giltigkeit hat, befindliche unbewegliche Vermögen des Herrn Johann Anderle, bürgerlichen Schlossermeisters und Hausinhabers am Magdalenagrund Nr. 18, und seiner Gattin Justine, jedoch über jeden der beiden Ehegatten abgesondert." 1855_09_09_Anderle_Konkurs Johann und Justine_Magdalenagrund 18_Wiener Zeitung._Seite 22

Wir haben also eine Gattin Justine und einen ersten Aufenthaltsort am Magdalenagrund. Die im Volksmund auch Ratzenstadl genannte Siedlung war eine der kleinsten Vorstädte Wiens. Geschichte Wiki Wien weiß da eine Menge dazu. Mit Ratzen waren allerdings nicht die Nager gemeint, so viel sei schon verraten. Im Bezirksmuseum Mariahilf steht ein 3 x 3 m großes Modell davon.

In die "Johann und  Justine Anderle'sche Konkursmasse" gehören ein "Haus Nr. 866 auf der Wieden" und das Haus am Magdalenagrund 18, die ab August 1856 feilgeboten werden. 1856_09_06_Anderle_Feilbietung Haus Nr. 866 auf der Wieden_Johann und Justine_Wiener Zeitung_Seite 23 - 1857_02_15_Anderle_Feilbietung Konkursmasse Magdalenagrund 18_Wiener ZEitung_Seite 23

Justine könnte eine geborene Schmoranza gewesen sein und sie könnte einen Sohn in die Ehe gebracht haben, denn die Wiener Zeitung meldet, dass am 17. Juni 1858 ein "Schmoranza Anton, 19 J., Stiefsohn des Herrn Johann Anderle, Schlossermeisters und Hausinhabers, Magdalenengrund 18 an Lungentuberkulose" verstorben ist. 1858_06_21_Anderle_verstorbener Stiefsohn_Wiener ZEitung_Seite 6

Ein Jahr darauf stirbt "Frau Anderle Justina, bürgerl. Schlossers- und Hausinhabersgattin, 51 J., Magdalenengrund 18 an Gehirnentzündung".

1859_07_17_Anderle Justina_Verstorben_Wiener Zeitung_Seite 12

Erst ab 1860 scheint es in kleinen Schritten aufwärts zu gehen, bzw. die mediale Sichtbarkeit wird größer. Anfang des Jahres ergeht ein weiterer Aufruf für das Haus Magdalenagrund, 1860_02_14_Anderle_Feilbietung Haus am Magdalengrund 18_Konkursmasse_Wiener Zeitung_Seite 17

einen Monat später vermeldet die "Wiener Zeitung", die Erteilung eines Privilegiums auf die "Erfindung einer Plachenrollmaschine ohne Stickvorrichtung [...] für die Dauer eines Jahres", welches im darauffolgenden Jahr verlängert wird. 1860_03_21_Anderle_auschl. Priv. Plachenrollmaschine_Wiener ZEitung_Seite 22

Anderle Joseph, der im Magdalenengrund 18 einjährig an Fraisen stirbt, gehört sicher zur Kernfamilie, das genaue Verhältnis ist noch ungeklärt. 1860_06_13_Anderle_Joseph, verstorben 1 Jahr, Fraisen_Magdalenengrund 18_Wiener Zeitung_Seite 10

1861 wird das Patent auf die Plachen-Roll-Maschine auf ein weiteres Jahr verlängert 1861_04_14_Anderle_Patent_WienerZeitung_Seite 25

und erst 1869 berichtet die "Klagenfurter Zeitung" von einem Privilegium "auf die Erfindung einer eigenthümlichen Construction von Jallousie-Absperrungen, welche Raumersparung und größere Sicherheit der Sperre erzielt." 1869_06_24_Anderle_Auschl. Priv._eigenthüml. Construction_Klagenfurter Zeitung_Seite 5 Das war zwei Jahre nach der Pariser Weltausstellung und vier Jahre vor der Wiener. Die Adresse hat sich ein wenig in die Magdalenenstraße 90 verschoben.

Von der Grazer Ausstellung kommt Johann Anderle mit einer "broncenen" Medaille für einen "eisernen Gewölbverschluß" nach Hause. 1870_10_12_Anderle_Bronzemedaille_Grazer Ausstellung_Neue Freie Presse_Seite 9

Mit dem Jahr 1875 wagen sie den Sprung über den Wienfluss. Lehmann führt sie als Firma "Joh. Anderle & Sohn, V. Stegg. 4."

1877_04_14_Anderle_Unfall mit Trabelli_Presse_Seite 15

Der Schlosser Wenzel Anderle, aus Nechanitz stammend, heute Nechanice, eine Kleinstadt 100 km östlich von Prag gelegen, könnte bei seiner Wiener Verwandtschaft zu Besuch gewesen sein, Genaueres werden wir dazu wohl nicht mehr erfahren. Erschütternd aus heutiger Sicht ist die Erkenntnis, dass ein 54-jähriger Schlosser im Verlauf des Berichts als "alter Mann" bezeichnet wird. Die 50 fl., die ihm die Sängerin zukommen lässt, wären aktuell knapp 700 Euro. Vom Linzer Volksfest kommt Johann Anderle mit einer großen silbernen Medaille zurück nach Wien, "für Stahl-Rollbalken für Gewölbe- und Fenster-Oeffnungen, nach System Clark, verbessert." 1877_10_03_Anderle_Clark_Linzer Tages-Post_Seite 2

Dies ist das erste von zwei Malen, dass zwischen Anderle und dem System Clark eine Verbindung hergestellt wurde. Vielleicht lag hier ein Ausgangspunkt für die jahrelange Auseinandersetzung mit seinem Mitbewerber Rosenthals Erben. Sie schreiben 1883: "Herr Johann Anderle umgeht nun das patentirte System Clark, indem er mittelst unwesentlicher Aenderung die Construction des Clark'schen Patentes nachahmt."

1883_07_22_Rosenthal Ch. M._Clark_Anderle_Bekanntmachung_Wiener Allgemeine Zeitung_Seite 15


Ab 1881 variieren die Adressangaben. Steggasse 4 ist zu lesen, später 3 & 4, an der Magdalenen-Brücke oder wie oben am Eck der Magdalenenbrücke Nr. 4. Bei der Benamsung dieser Platte scheinen dem Verantwortlichen allerdings ein wenig die Gäule durchgegangen zu sein.

Ab 1884 heißt die Anschrift "Wien, V., a. d. Magdalenenbrücke Nr. 3-4."

1884_09_14_Werbung_Rosenthal_Anderle_Gegendarstellung_Neue Freie Presse_Seite 14

Das sind zwar Kleinigkeiten, aber sie helfen ein bisschen, die Funde zeitlich einzuordnen.

1883_03_23_Werbung_Anderle_Erfinder der geräuschlosen_Bautechniker_Seite 8

Die Geräuschlosigkeit bleibt über die nächsten Jahre ein Thema. Im Rahmen der Zeitungspolemik steigt die Zahl der Werbeeinschaltungen, in späteren Jahren auch die Offertenlegungen.


1883_08_12_Rosenthals Erben_Anderle_Geräuschlos auf einer Seite_Neues Wiener Tagblatt_Seite 13

Die Magdalenenstraße 90 scheint weiterhin zumindest als Wohnadresse belegt zu sein. Ein "Anderle Wenzel, gew. Schlosser, 62 J." wird dort mit dem 13. August als verstorben gemeldet.

1883_08_18_Anderle Wenzel_Verstorben am 13. August_Wiener ZEitung_Seite 10

Gegen Ende des Jahres kaufen Johann und Anna Anderle die "Baustelle Nr. 3, Högelmüllergasse [...] um 4470 fl."

1883_11_04_Anderle_Joh. und Anna_Kauf Högelmüllergasse 4470fl_Neues Wiener Tagblatt_Seite 6

Knapp ein halbes Jahr nach Wenzel stirbt in der Magdalenenstraße die Schlossermeisters-Witwe Anna Anderle mit 66 Jahren. Wie die Verhältnisse zu den anderen Anderles waren, konnte bis dato nicht eruiert werden.

Im Oktober 1886 kauft Johann Anderle das "Haus [...] Hundsthurmerstraße Nr. 27 im Ausmaß von 1313 Quadratmetern [...] um den Preis von 6000 fl.", 1886_10_09_Anderle_Hauskauf_Hundsthurmerstrasse Nr. 27_Wiener Allgemein Zeitung_Seite 6

knapp 100.000 Euro. Im Februar 1887 verkaufen sie, diesmal Johann und Anna, im Gegenzug das Haus Nr. 6 in der Leitgebgasse um 52.000 fl., 1887_02_18_Anderle_Verkauf Leitgebgasse 6 an Eduard Anton Hollub_Neue Freie Presse_Seite 5, gut 810.000 Euro.

Ab dem Sommer wird in der Hundsthurmerstraße gearbeitet, gehandelt und gefeiert.

1887_07_24_Anderle_Einzug und Jubiläum_Hundsthurmerstrasse Nr. 27_Neuigkeits Welt Blatt_Seite 3_01

Die Hundsthurmerstraße gibt es heute nicht mehr, sie wurde 1898 Teil der Schönbrunner Straße.

1892 sucht Johann Anderle von der Hundsthurmstraße aus um eine Baugenehmigung für die Steggasse 3 an.

1892_01_01_Anderle_Baubewilligung_Hundsthurmer_Steggasse 3_Bautechniker_Seite 756

Wenige Tage vor Weihnachten stirbt "Johann Anderle, Bürger von Wien, gewes. Schlossermeister und Hausbesitzer" im 81. Lebensjahr. Er hat sich an den Wilhelminenberg zurückgezogen und liegt auf dem Ottakringer Friedhof.

1892_12_19_Anderle Johann d. Ä._Todesanzeige_Neues Wiener Tagblatt_Seite 6

Er hinterlässt seine Frau Katharina sowie die Kinder Johann und Ottilie. Nur einen Monat später wird wahrscheinlich diesem Johann Anderle, wie zuvor schon seinem Vater, das Bürgerrecht verliehen.

1893_01_29_Anderle_Bürgerrecht_Neue Freie Presse_Seite 6

Fünf Jahre bevor "Rosenthal's Erben" mit ihren "Panzerplatten-Rollbalken" werben, taucht der Begriff "Panzer-Rouleaux" in der "Marburger Zeitung" auf. Als alleiniger Vertreter für die Steiermark wird der Tischlermeister Anton Irschik in Graz genannt. Ein bisschen nachdenklich macht der "größte Widerstand gegen [...] Ausdünstung".

1893_05_11_Werbung_Anderle_Graz_Marburger Zeitung_Seite 6


Bild vom Irschik?

"Bei dem k. k. Kreis- als Handelsgerichte in St. Pölten wurde auf Grund der, durch die zum Zwecke der Herstellung der Uebereinstimmung des Handelsregisters mit dem wirklichen Firmenstande gepflogenen amtlichen Erhebungen, erfolgten Constatirung der Erlöschung, in den Handelsregistern nachstehende Firmen von amtswegen gelöscht." Unter dieser schönen Formulierung beginnt für einen Johann Anderle aus Gresten (Bezirk Scheibbs) das Jahr 1894 mit einer Löschung. Von Februar bis April wird die Firma in der "Bukowinaer Rundschau und der-Post" beworben, Mittelmann & Donnensaft, ansässig in Czernowitz, werden als "alleinige Vertreter für Bukowina und Siebenbürgen" eingeführt.

1894_02_18_Anderle_Werbung_Bukowinaer Post_Seite 9

Am 29. August wird "Johann Anderle, zum Betriebe des Schlossergewerbes in Wien, V., Hundsthurmerstraße 27" als Firmainhaber im "Register für Einzelnfirmen" registriert, das dürfte dann Johann IV. gewesen sein.

1894_08_29_Anderle_Firmeneintragung_Wiener Zeitung_Seite 18

Das Privileg vom Februar 1883 auf verbesserte Rollverschlüsse wird im Oktober 1894 als erloschen erklärt.

1894_10_14_Anderle Johann_Privileg erloschen_Wiener Zeitung_Seite 17

Johann Anderle stirbt am 11. Mai 1898 im 57. Lebensjahr; er hinterlässt seine Witwe Anna und die minderjährigen Kinder Anna, Johann, Ottilie, Rosa und Bertha. Im Mai noch zeigt Anna an, dass sie die Firma "unverändert und im gleichen Umfange unter der bewährten Leitung der vieljährigen Mitarbeiter meines seligen Gatten weiterführe."

1898_05_12_Anderle_Todesanzeige_Neues Wiener Tagblatt_Seite 16

1898_05_28_Anderle_Anzeige_übernahme durch Anna Anderle_Deutsches Volksblatt_Seite 11

Wie weiter oben schon angemerkt, wurde die Hundsthurmerstraße ab 1898 Teil der Schönbrunner Straße. Seit Bezug des Standorts in der Hundsthurmerstraße sind keine weiteren Übersiedlungen bekannt. Es ist also durchaus plausibel anzunehmen, dass beide Standorte identisch sind. Mit Beginn des Jahres 1899 wird um einen "Zubau, V., Schönbrunnerstrasse 31" angesucht.

1899_01_01_Anderle_Bewilligung Zubau Schönbrunnerstraße 31_Bautechniker_Seite 683


Aus den Tiefen des Wiener Stadt- und Landes-Archivs stammt dieser Katalog, der um die Jahrhundertwende zum 60-jährigen Bestehen der Firma ausgegeben wurde. Wenn die Abbildung auf dem Einband auch nur annähernd der Realität entspricht, dann war sie womöglich nicht nur die größte Fabrik für Rollbalken, sondern auch die Erzeuger der größten Stahl-Läden-Verschlüsse. In der Wildenmanngasse, heute Strobachgasse, wurde übrigens am 1. Mai 1890 die Chocoladenfabrik Josef Manner gegründet.

Die Werbeauftritte werden spärlicher, im Sommer 1901 verkauft Anna eine Baustelle in der Steggasse.

1901_07_18_Anderle Anna_Verkauf Baustelle Steggasse an Carl Langer_Neues Wiener Tagblatt_Seite 4

In der Ausgabe des Lehmann 1905 wirft man noch einmal fast alles in eine Anzeige, wofür die Firma steht. Die Geräuschlosigkeit ist kein Thema mehr. Sie bezeichnen sich als "Spezialist in Hochverschluß-Rollbalken [...] mit Stahlbandführung statt der Belederung."


1906_01_01_Anderle Werbung_Schönbrunnerstraße_Monatsschrift für Baudienst_Seite 23

Das Jahr 1906 beginnt mit einer sehr schlichten Anzeige, bevor im Frühsommer gemeldet wird, dass die bisherige Inhaberin Anna Anderle "über Geschäftsübertragung gelöscht" wurde und der neue Inhaber ein Herr Hugo Czeczowiczka ist. 1906_05_01_Czeczowiczka_Anderle Anna als Inhaberin gelöscht_Der Bautechniker_Seite 923

Bei den Czeczowiczkas hat es sich um ein breit aufgestelltes Bauunternehmen gehandelt, in dem zahlreiche Familienmitglieder beschäftigt waren. Hugo war darüberhinaus als Geschäftsführerstellvertreter der "Brikettfabrik am Wienerberge" tätig 1921_07_01_Czeczowiczka_Brikettfabrik am Wienerberge_Geschäftsführerstellvertreter_große Familie_Wiener Zeitung_Seite 23

und als Geschäftsführer der "'Okeros' Mineralwachs-Werke". 1928_03_08_Czeczowiczka_Wiener ZEitung_Seite 12

In den "Offertverhandlungs-Ergebnissen [...] vom 24. Jänner 1908 zur Herstellung von Unratstransportkübeln der städtischen Unratsverschiffungsstation am Erdbergermais" scheint die Firma Johann Anderle sowohl als Anbieter für Tischler-, als auch für Schlosserarbeiten auf. Man will sich nicht vorstellen, wohin der Unrat verschifft worden ist.

1908_02_01_Anderle Johann_Offerte Tisch- und Schlosserarbeiten_Architekten- und Baumeister-Zeitung_Seite 7

Mit Mai 1908 beginnt eine lange Reihe an Offerten für "Patent-Ventillationsapparate 'Zeus'", die bis Ende 1912 fortdauern. In diesem Zusammenhang wird Ende des Jahre 1909 von einer Gerichtsverhandlung berichtet. "In welch findiger Weise manche Kompaziszenten eine vereinbarte Konkurrenzklausel zu umgehen wissen, davon gibt eine jüngst vor einem Wiener Bezirksgericht geführte interessante Verhandlung Zeugnis", lautet der einleitende Satz. Ein Kompaziszent ist zwar ein heute nicht mehr gebräuchliches Wort für Vertragspartner, es wäre aber ein hübsches Übungswort für Menschen, die aus einer Szene eine "Sehne" machen.

Josef Kotsch jun. hatte seine Patente für Ventilationsapparate "gegen Bezahlung eines hohen Kaufpreises" an die Firma Johann Anderle übertragen und sich verpflichtet, zehn Jahre lang nichts mit diesen Apparaten zu tun zu haben. Die Firma Anderle musste aber feststellen, dass über Josefs Bruder Gustav Kotsch dennoch diese Apparate verkauft wurden. Eigentlich ging es um einen lächerlichen Betrag, aber eine Familie wollte sich nicht von einer anderen aufs Kreuz legen lassen. Interessant ist die Notiz auch deshalb, weil die Firma "E. S. Rosenthal's Erben" schon vor 20 Jahren diesen Weg der Diversifikation eingeschlagen hat.

1909_12_05_Anderle_Umgehung einer Konkurrenzklausel_Die Arbeit_Seite 9

Hans Jörgel von Gumpoldskirchen berichtet in seinem "Unabhängigen Volksblatt für Ernst und Humor" von einer "ungemütlichen Rechnung", wonach "Bei Ueberschreitung des Zahlungstermines 6% Zinsenberechnung" zum Tragen kommen und zwar nicht wie üblich nach einem Monat, sondern bereits nach acht Tagen.

1909_07_15_Anderle_ungemütliche Rechnung_Jörgel Briefe_Seite 3

1910 hält das Telephon mit einer vierstelligen Nummer Einzug in der Schönbrunnerstraße.

Nur drei Wochen vor Ausbruch des Großen Kriegs befinden sich die "Arbeiter der Rollbalkenindustrie" in Streik

1914_07_12_Anderle_Streik_Arbeiter Zeitung_Seite 13 und im Jahr darauf berichtet die "Arbeiterzeitung" über "Die wertvollen 'persönlichen Beziehungen' zur Gemeinde."

1915_08_15_Anderle_Freunderlwirtschaft_Arbeiterzeitung_Seite 10

Am Ende des zweiten Kriegsjahres wird Hugo Czeczowiczka beim "Löbl. k. k. Handelsgericht" vorstellig und meldet die "Fabriksmäßige Erzeugung von 'Plachen, Zelten, Rucksäcken und ähnlichen Gegenständen' als Erweiterung meines [...] Schlossergewerbes." Hier geht es schlicht um die Erlaubnis zur Produktion von Kriegsgütern.

Ein später, aber kurzer Triumph der Rosenthals

Wie es ihm damit ergangen ist, ist nicht bekannt. Am 13. März 1920 bringen "Julius Rosenthal und Emil Frankl (beide Gesellschafter der Firma Julius Rosenthal, Emil Frankl womöglich ein Cousin) zur h. g. Anmeldung, dass wir von Herrn Hugo Czeczowiczka, derzeit Alleininhaber der Firma Johann Anderle, [...] dieses Handelsgeschäft [...] erworben haben.

Medial tut sich nicht viel. 1924 gibt es zwei kleine Einschaltungen, Rosenthal für Portalbau und Einrichtungen, Anderle für Rollbalken und Sonnenplachen. Neu ist die Adresse in der Ziegelofengasse 35 und die Telefonnummer ist fünfstellig geworden. 1924_06_04_RosenthalJ & Anderle_Werbung_Neue Freie Presse_Seite 22


Was es mit dem Adresswechsel auf sich hat, ist unklar. Vielleicht handelt es sich bei dem neuen Standort nur um ein Büro.

Die nächste Unterschrift, die Emil Frankl am 13. Oktober 1939 unter eine Vollmacht setzt, muss schon "Israel" als Zweitnamen beinhalten. Die Arisierungen der beiden Firmen, die ineinander verflochten sind, werden am Ende von Rosenthals Geschichte zusammengefasst.

Nun mag man sich womöglich mit dem Dritten Reich über das in Schulen übliche Maß auseinandergesetzt haben, hat den Schrecken in Büchern, Dokumentationen und Filmen gar bis ins eigene Heim gelassen. Hält man dann, wenn auch nur in Kopie, eine Genehmigung für eine Betriebsentjudung in Händen, dann bekommt das eine ganz neue, sehr bewegende, persönliche Qualität. Die Diskrepanz zwischen einem einzelnen, bei aller Beliebigkeit und Grausamkeit keineswegs einzigartigem Schicksal und diesem klinisch-sterilen Verwaltungsakt mit Durchschlägen an diverse Ämter und Arbeitsgruppen ist nur schwer zu ertragen.

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