Die anderen Anderles
Der erste stammt aus dem Jahr 1708. Die "Wiener Zeitung", bis 1725 "Wiennerisches Diarium", vom 21. November 1708 führt in der "Lista deren Getaufften in= und vor der Stadt." "Den 8. October [...] Dem Johann Anderle / Schneider / und Maria sein. Ehew. ihr S. Joseph Georg."
Es ist nicht auszuschließen, dass von hier ein Pfad zu "meinem" Johann Anderle verläuft, für meine Recherchen spielt das derzeit keine Rolle.
Die "Wiener Zeitung" ist mit Ersterscheinungsdatum 8. August 1703 die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. Mit dem "Amtsblatt" wurde sie 1812 zur offiziellen Regierungszeitung, mit Angabe der Firmen-Protokollierungen ist sie ein reicher Informationsspeicher, wer wann welches Privilegium erhalten hat, zum wievielten Male die Taxannuität eingezahlt wurde, wann Privilegien erteilt oder übertragen wurden bzw. erloschen sind und natürlich, wann eine Firma in Konkurs gegangen ist und es in Folge evtl. zu einer "Licitation", also einer öffentlichen Versteigerung gekommen ist. Und genau darum geht es im nächsten Fund vom 5. Januar 1825. Vom Eisenhändler Johann Anderle könnte es durchaus eine Verbindung zum Schlosser gleichen Namens in Wien geben. Die Bekanntmachung ist in bestem Behördendeutsch gehalten, besteht aus drei Sätzen und ist zu schön, um in den Tiefen des WWW ihr Dasein zu fristen. Alle Abkürzungen und Unklarheiten konnte ich nicht auflösen, wie immer bin ich für weitere Informationen sehr dankbar.
Dem Vater des angeführten Mathias Constantin v. Wickenburg verdanken wir die Wickenburggasse in Wien Josefstadt. Das Kürzel "V. O. W. W." vor "Ni. Oest." steht für Viertel ober dem Wienerwald, also dem Mostviertel. Mit "Gersten" war wohl "Gresten" gemeint, die 1517 fl. (Gulden) und 48 kr. (Kreuzer?) W. W. (Wiener Währung) entsprächen laut Währungsrechner heute guten 36.000 Euro.
250 Gulden W. W. wurden in 100 Gulden C. M. getauscht, damit schlugen die "93 fl. C. M." (Conventions-Münze) mit weiteren 233 fl. W. W. zu Buche und die Gesamtschuld von "Mich. Kraushofer und Anna Maria uxori [der Gattin]" betrug damit etwas über 41.000 Euro. Zum Haus gehörten neben einem "radicirten Fleischhauergewerbe" auch "5/8 Joch Gärten". Ein Joch entsprach 1.600 Quadratklaftern und ein Klafter der "Spanne zwischen den ausgestreckten Armen eines erwachsenen Mannes". Hält man sich Da Vincis "Vitruvianischen Menschen" vor Augen, dann wären die Österreicher damals mit knapp 1,90 m deutlich größer gewesen als etwa die Bayern mit nur 1,75 m.
Zum Schluss ist noch von einem "Reugelde" die Rede, was ich hier eher als Anzahlung bei Vertragsabschluss verstanden hätte, ursprünglich aber anscheinend eine Pönale war bei nicht eingehaltenem Vertrag.
Ein gutes Jahr später, genau am 22. April 1826 berichtet die "Wiener Zeitung" von einem "Johann Anderle, Hausbesitzer in Gresten", der ein Auge auf den Besitz von Gottfried und Francisca Mitterstegger geworfen hat. Zum Haus gehören viel Äcker, Wiesen, Wälder etc., es scheint mit geschätzten 480 fl. C. M. durchaus wohlfeil gewesen zu sein. Joch und Quadratklafter kann sich ja jetzt jeder selber umrechnen, was ich nicht verstehe, ist die grundsätzliche Vorgangsweise. Konnte jeder seines Nächsten Hab und Gut "per Anlangen" begehren, musste man ansuchen, um mitbieten zu können, oder wurde die Tatsache, dass vielleicht Schulden zu begleichen waren, hier nicht erwähnt?
Die nächsten 20 Jahre ist es still um "meinen" Schlossermeister, ein paar Mal taucht der Name eines Kürschners in Prager Zeitschriften auf, und auch in anderen Zusammenhängen, bei denen ich derzeit keinen Weg nach Wien sehe.
Ein Big Player mit schwierigem Start
Wie in der Einleitung schon zu lesen war, scheint es sich bei der Firma Johann Anderle seinerzeit um einen der "Big Player" gehandelt zu haben. In einer der später geschalteten Anzeigen taucht das Jahr 1840 als Gründungsjahr auf. Die ersten Funde, die den Namen Anderle definitiv mit dem Schlosserhandwerk in Verbindung bringen, sind alle negativer Natur.
So taucht ein Franz Anderle am 10. September 1846 in der "Wiener Zeitung" auf, dessen Gattin Marie im Alter von 26 Jahren in der Brigittenau Nr. 205 an Entkräftung gestorben ist. Auch die nächsten Nachrichten in derselben Zeitung werden die folgenden Jahre nicht besser.
Am 9. September 1855 geht es ebenda um die Konkurseröffnung und zwar "über das gesammte bewegliche und über das in jenen Kronländern, in welchen die dermalen bestehende Zivil-Jurisdiktionsnorm Giltigkeit hat, befindliche unbewegliche Vermögen des Herrn Johann Anderle, bürgerlichen Schlossermeisters und Hausinhabers am Magdalenagrund Nr. 18, und seiner Gattin Justine [...]"
Dasselbe Blatt weiß am 21. Juni 1858 zu vermelden, dass am 17. Juni ein "Schmoranza Anton, 19 J., Stiefsohn des Herrn Johann Anderle, Schlossermeisters und Hausinhabers, Magdalenengrund 18 an Lungentuberkulose" verstorben ist und vom 17. Juli 1859 stammt die Nachricht, dass "Frau Anderle Justina, bürgerl. Schlossers- und Hausinhabersgattin, 51 J., Magdalenengrund 18 [an] Gehirnentzündung" gestorben ist.
Am 21. März 1860 vermeldet die "Wiener Zeitung", die Erteilung eines Privilegiums auf die "Erfindung einer Plachenrollmaschine ohne Stickvorrichtung [...] für die Dauer eines Jahres", welches im darauffolgenden Jahr verlängert wird.
Die "Klagenfurter Zeitung" berichtet am 24. Juni 1869 von einem Privilegium "auf die Erfindung einer eigenthümlichen Construction von Jallousie-Absperrungen, welche Raumersparung und größere Sicherheit der Sperre erzielt." Das war zwei Jahre nach der Pariser Weltausstellung, auf der die englische Firma "Clark & Comp." mit ihrer Erfindung reüssiert hat und zehn Jahre nachdem sie sich als "Original Inventors And Patentees Of Revolving Shutters" präsentiert hatten. Das schiebe ich deshalb hier ein, weil sich in weiteren zehn Jahren ein medial ausgetragener Streit zwischen Johann Anderle und "E. S. Rosenthal's Erben" entspinnen wird, in dem es immer wieder auch um das "System Clark" gehen wird. Ende April 1871 wird die "eigenthümliche Construction" noch einmal verlängert, weniger als ein Jahr danach erlischt sie.
Der Wohnort hat sich inzwischen vom Magdalenagrund 18 in die Magdalenenstraße 91 verlegt.
Von der Grazer Ausstellung kommt Johann Anderle mit einer "broncenen" Medaille für einen "eisernen Gewölbverschluß" nach Hause, meldet die "Neue Freie Presse" am 12. Oktober 1870.
Von einer Kollision am Kärntnerring zwischen der Opernsängerin Zelia Trebelli und dem Schlosser Wenzel Anderle ist in der "Presse" vom 14. April 1877 zu lesen. Erschütternd aus heutiger Sicht ist die Tatsache, dass der 54-jährige Schlosser im Verlauf des Berichts als "beschädigter alter Mann" bezeichnet wird. Die 50 fl., die ihm die Sängerin zukommen lässt, sind heute etwa 570 Euro. Demselben Ereignis hat die "Morgen-Post" vom 15. April deutlich mehr Platz eingeräumt, amüsant ist hier die kurz zuvor stattgefundene Verurteilung eines Grafen wegen Schnellfahrens.
Vom Linzer Volksfest kam Johann Anderle mit einer großen silbernen Medaille zurück nach Wien, "für Stahl-Rollbalken für Gewölbe- und Fenster-Öffnungen, nach System Clark, verbessert", meldet am 3. Oktober die "Tagespost".
Die Kontrahenten besteigen den Ring
24./25. Januar 1879 Im "Prager Tagblatt" und tags darauf in der Prager "Epoche" wird mit zwei gleichlautenden Anzeigen der Grundstein gelegt für die mediale Auseinandersetzung, die erst Mitte 1885 zu einem Ende kommen wird.
Die Kontrahenten "E. S. Rosenthal's Erben" werden hier noch als Generalrepräsentaten geführt, als Erfinder "Clark & Comp., London " genannt.
Als Erfinder bezeichnet sich auch Johann Anderle in seiner Werbeeinschaltung vom 23. März 1883 im "Bautechniker". Hier wird ein Nebenschauplatz eröffnet, bewegt doch der Kampf um die geräuschlosen Rollbalken Produzenten, Presse und Publikum die nächsten Jahrzehnte. In der Einschaltung vom 19. Juli des Jahres in der "Neuen Freien Presse" unterstreicht er mit Hinweis auf einen Magistratsbeschluss, dass "nur er allein berechtigt ist, die [...] als vollkommen geräuschlos anerkannten" Rollbalken zu erzeugen.
Die Entgegnung folgt auf dem Fuße, schon am nächsten Tag legt Charles Max Rosenthal in der "Neuen Freien Presse" dar, dass nur seine Firma berechtigt sei, geräuschlose Rollbalken zu produzieren, außerdem wurde eine Klage eingebracht.
Im "Bautechniker" wird am 5. September 1884 der "dem Johann Anderle patentirte geräuschlose Rollverschluss" lobend erwähnt, der auch den "Uebelstand" des tief liegenden Verschlusses beseitigt. Der Satzbau ist teilweise verwirrend beeindruckend.
Bevor ab dem 26. September bis Ende des Jahres obige Einschaltungen folgen, die den Unterschied bildlich darlegen, lassen "E. S. Rosenthal's Erben" am 8. September über die "Wiener Sonn- und Montags-Zeitung" ausrichten, dass der "als neueste Erfindung angepriesene, höher angebrachte Verschluß" von ihnen und ihren Vorgängern schon lange geliefert werde, dass er allerdings für den Rollbalken "höchst nachtheilig" sei und dass sowieso nur sie berechtigt seien, geräuschlose Rollbalken zu liefern. Die nun in Gang gekommene "Zeitungspolemik" ist hier im Detail nachzulesen, wenn mir jemand erklärt, wie ein "anchor tag" gesetzt wird, dann gibt's einen direkten Sprung dazu.
Die von Charles Max Rosenthal angekündete Klage scheint nichts bewirkt zu haben, denn am 15. Juni 1887 erscheint im "Humorist" obige Anzeige in gespiegelter Form, gefolgt von einer am 21. Juli in der "Neuen Freien Presse" mit direktem Bezug auf den Kontrahenten.
Die kleine Notiz in der "Wiener Zeitung" vom 7. August 1890, wonach ein Johann Anderle ein ausschließendes Privilegium auf einen "elastischen Hosenhalter" erhält, führt womöglich in eine ganz falsche Richtung, der ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht nachgehen werde.
Am 29. Januar 1893 weiß die "Neue Freie Presse" zu berichten, dass "Johann Anderle, Schlossermeister und Hausbesitzer" das Bürgerrecht der Stadt Wien verliehen wurde.
Fünf Jahre bevor "Rosenthal's Erben" mit ihren "Panzerplatten-Rollbalken" werben, taucht der Begriff "Panzer-Rouleaux" in der "Marburger Zeitung" vom 11. Mai 1893 auf. Als alleiniger Vertreter für die Steiermark wird der Tischlermeister Anton Irschik in Graz genannt. Dadurch verfestigt sich meine Vermutung, dass die Montage der Rollbalken nicht immer von den sie produzierenden Schlossern o.ä. durchgeführt wurde. Die Tischler haben leider fast überhaupt keine verfolgbaren Spuren hinterlassen. Ein bisschen nachdenklich macht der "größte Widerstand gegen [...] Ausdünstung".
Die "Wiener Zeitung" vom 1. September 1893 verkündet folgende "Nichtigerklärung".
"Bei dem k. k. Kreis- als Handelsgerichte in St. Pölten wurde auf Grund der, durch die zum Zwecke der Herstellung der Uebereinstimmung des Handelsregisters mit dem wirklichen Firmenstande gepflogenen amtlichen Erhebungen, erfolgten Constatirung der Erlöschung, in den Handelsregistern nachstehende Firmen von amtswegen gelöscht:"
Unter dieser schönen Formulierung taucht am 28. Januar 1894 in der "Wiener Zeitung" wieder ein Johann Anderle aus Gresten (Bezirk Scheibbs) auf.
Ebenda wird am 29. August "Johann Anderle, zum Betriebe des Schlossergewerbes in Wien, V., Hundsthurmerstraße 27" als Firmainhaber im "Register für Einzelnfirmen" registriert.
Am 14. Oktober schließlich heißt es im selben Blatt: "Nachstehende Privilegien sind durch Zeitablauf erloschen und wurden als solche vom k. k. Privilegien-Archive registrirt: [...] 11. des Johann Anderle vom 21. Februar 1883 auf verbesserte Rollverschlüsse;"
Die Nichtigerklärung focht ihn aber nicht an, noch ein paar Mal mit seinen "Patent-Hochverschlüssen" zu werben, wenn auch etwas ab vom Schuss, in der "Bukowinaer Rundschau und der -Post" ab dem 11. Februar 1894.
Die "Wiener Zeitung" vom 3. August 1898 berichtet vom Ableben Johann Anderles. Er hinterlässt seine Witwe Anna Anderle und die minderjährigen Kinder Anna, Johann, Ottilie, Rosa und Bertha.
Tischlermeister Anton Irschik bewirbt am 23. November 1899 im "Grazer Tagblatt" weiterhin Anderles "Rollbalken aus bestem Stahl-Wellblech". Inzwischen ist er "Vertreter für Steiermark etc." und von der Lagergasse 9 in die Lagergasse 33 und 33A übersiedelt.
Der Schlosser Hermann Franz Anderle erscheint ein einziges Mal als Suchergebnis. "Das Vaterland - Zeitung für die österreichische Monarchie" meldet am 24. Dezember, dass ihm nebst mehreren anderen das Bürgerrecht der Stadt Wien verliehen wurde. Eine Einschränkung der Suche auf Hermann Anderle führt u.a. wieder nach Gresten, Franz Anderles gibt es viele, in allen möglichen Professionen.
Sehr bescheiden gibt sich die Einschaltung vom 9. April 1902 in der "Neuen Freien Presse", nur der Doppeladler zeugt noch von ehemaligen k. k. Privilegien.
Ein bisschen mehr macht noch die Werbung im "Neuen Wiener Journal" vom 12. April 1903 her, ab dann ist Schluss mit mir bekannten Werbeauftritten.
Die "Wiener Zeitung" vom 15. August und der "Bautechniker" vom 19. Oktober 1906 melden, dass die bisherige Inhaberin Anna Anderle "über Geschäftsübertragung gelöscht" wurde und der neue Inhaber ein Herr Hugo Czeczowiczka ist, der Sproß einer erfolgreichen jüdischen Unternehmerfamilie. (Mehr dazu folgt)
"Hans Jörgel von Gumpoldskirchen" beschwert sich in seinem "Unabhängigen Volksblatt für Ernst und Humor" vom 15. Juli 1909 über "ungemütliche" Rechnungskonditionen der Firma Anderle.
Unter "Umgehung einer Konkurrenzklausel" bringt "Die Arbeit" vom 25. Dezember 1909 noch ein interessantes Detail zutage. Josef Kotsch jun. hatte seine Patente für Ventilationsapparate "gegen Bezahlung eines hohen Kaufpreises" an die Firma Johann Anderle übertragen und sich verpflichtet, zehn Jahre lang nichts mit diesen Apparaten zu tun zu haben. Die Firma Anderle musste aber feststellen, dass über Josefs Bruder Gustav Kotsch dennoch diese Apparate verkauft wurden. Interessant ist es deshalb, weil die Firma "E. S. Rosenthal's Erben" schon vor 20 Jahren diesen Weg der Diversifikation eingeschlagen hat.
Dieselbe Zeitung berichtet am 24. Mai 1914, dass "der Kaiser in Anerkennung vieljähriger, einem und demselben Unternehmen zugewendeter, treuer und belobter Berufstätigkeit [...] dem Herrn Karl Ledl sen., dem Werkführer der Rollbalken-, Plachen- und Schlosserwarenfabrik 'Johann Anderle' [...] das silberne Verdienstkreuz verliehen hat."
Die "Arbeiterzeitung" weiß am 15. August 1915 noch einiges über "Die wertvollen 'persönlichen Beziehungen' zur Gemeinde" zu berichten und mit den beiden folgenden, kleinen Einschaltungen im "Lehmann's Allgemeiner Wohnungsanzeiger" des Jahres 1942 enden meine bisherigen Zeitungsfunde über diese Firma.
Erstmals werden hier die Ziegelofengasse 35 als Adresse und Karl Schwehla als Inhaber angegeben.
Um dem Eintrag im "Findbuch" nachzugehen, muss ich mich erst im "Wiener Stadt- und Landesarchiv" einarbeiten - für Hilfestellungen bin ich wie immer sehr dankbar.